Der Jahresablauf im alten Ziegelhausen
Es fing an, wie es aufhörte. Schon kurz nach Feiertagen hörte man dann und wann verbotenes Geknall, legal am 31. Dezember über Nacht zum 1. Januar. In dieser Nacht ward das Steinbachtal voller Rauches und in den Wohnzimmern knallten die Sektkorken, wurde giftiges Blei gegossen, um aus den ins Wasser fließenden Bleimustern die nächste Zukunft zu lesen. "Proscht Neijohr - die Brezel ligge im Scheierdoor" war synonym zu hören zu "Ich wünsche Dir alles Gute für's neue Jahr". Die Knallerei war aber nicht immer erlaubt. Im 19 ten Jahrhundert wurde gar mit Strafe und Gefängnis gedroht, hielt man ein Streichholz an die Schwarzpulverlunte.
Fastnacht - Ziegelhausen war nie Hochburg karnevalistischer - katholischer Bräuche wie das Land der Alemannen oder Rheinfranken. Den Winter zu vertreiben war aber immer ein Herzenswunsch vor allem der Bauern, die für den 2. Februar ("Mariä Lichtmess") den Wahlspruch aufsagten: "Maria Lichtmess, s'Spinne vergess, bei Dag zu Nacht ess." Mit Knallerei und allerlei Mummenschanz, Masken wollte man es den bösen Wintergeistern gleichtun und damit dem Frühling näherkommen. Selbstredend, dass dabei die Menschen sich verkleidet bei Maskenbällen, Kappenabenden zum Tanz trafen.
Der rheinische Karneval kam dann immer mehr in die Pfalz: "Prunksitzungen" und "Umzug" banden dann große Teile des Dorfes ein, alle "Schlumpeln", als "Alte" oder "Alter" verkleidete unterm Jahr brave Ziegelhäuser, die dann auch mal "die Sau rausließen".
Zum Symbol und zentralen Objekt der Begierde wurden die "Fasekiechle", die die Hausfrauen in heißem Fett bruzzelten. Und wo keine "Kiechle" vorhanden waren oder nicht mehr liefen Kinder von Kinder zu Haus und sangen drohend:
Fasenacht,
Die Panne kracht.
Die Kiechle sin gebacke, hab‘se höre krache.
Aldi, schmeiß mer Kiechle raus,
Oder i schmeiß der e Loch ins Haus.
Zucker druff, Zucker druff,
Oder i hüpf der‘s Fenschter nuff!
Summerdag, Staab aus,
Blos em Winter die Aage aus.
Here Schlissel klinge,
Wolle uns was bringe.
Was dann?
Rode Wein un Brezel nei.
Was noch dazu?
Paar neie Schuh.
Strih, strah, stroh,
der Summerdag is do.
Heit iwwers Johr
Do simmer widder do.
O, du alter Stockfisch,
Wemmer kummt, do hoscht nix
Als e Schipp voll Kohle,
Der Guggug soll dich hole.
Strih, strah, stroh, Der Summerdag is do.
Bis in die 1970 iger Jahre hinein gab es in Ziegelhausen 2 Sommertagszüge, die sich dann an der "Drehscheib'" trafen: Von der Neckarhelle herauf und entlang dem Steinbach herunter. Inzwischen gibt es nur noch den ersteren. Die Kinder tragen einen Stecken, mit Brezel, Ei und bunten Bändern geschmückt, Fruchtbarkeits- und Lebenssymbole - aus alter Zeit. Schon Liselotte von der Pfalz beschrieb im 17 ten Jahrhundert in ihren Briefen diesen Brauch, der Heidelberg und die Dörfer drumherum im beginnenden Frühling bewegte. Starke Männer tragen den weißen und den grünen "Butzen", Winter und Sommer verkörpernd. Andernorts wird der weiße Butzen verbrannt und damit der Winter ausgetrieben.
Zu Ostern schlug der Frühlingswunsch dann voll durch. Am Karfreitag oder Karsamstag gingen die Kinder in die feuchten Waldgebiete, um sich Mengen an grünen Moosplatten zu holen, denn der Osterhase sollte seine Gaben in ein weiches Osterhasennest legen können. Über halbkreisförmig gebogene Haselgerten, in die Erde gesteckt, wurden sie mit Moosplatten bedeckt und innen ausgepolstert. Am Samstagabend war dann in der Küche Eierfärben angesagt. Hatte man genug Zeit und Muse wurden die hartgekochten Eier auch filigran bemalt.
Von der katholischen Kirchengemeinde wurde an Himmelfahrt seit alters her ein Flurgang gemacht. Früher führte er zu den Feldern auf dem Büchsenacker, oder nur kurz zum Hahnberg.
Allen katholischen Gemeinden in Deutschland ist die Fronleichnamsprozession im Juni gemeinsam. An mehreren passende Stellen oder kleinen Plätzen
im Ort haben die Anwohner aufwendig blumengeschmückte Kleinaltäre eingerichtet, an denen der Zug im Gebet und Gesang inne hielt
Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt, dem 15. August, war wie die Palmweihe und der Flurgang ein rein auf den katholischen Volksteil beschränkter Brauch. Das geweihte Wurzbüschel, das jetzt aus Blumen beliebiger Art besteht, wurde im Hause, meistens am Kruzifix aufgehängt und galt wie die Palmzweige ebenfalls als blitz- und unheilabwehrend.
Das Hauptfest des ganzen Jahres war die ,,Kerwe", die nach Laurentius (10. August) am dritten Sonntag im August und im Ortsteil Peterstal am Sonntag nach Peter und Paul (29. Juni) gefeiert wurde. Inzwischen existiert die "Glashütter Kerwe" in Peterstal nicht mehr und die "Kuchenblech - Kerwe" durchlebte mehrere Wandlungen und ist heute in erster Linie gemeinsames Fest der Vereine und des Stadtteilvereins. Und man hat sich dem Urlaubswillen der Ziegelhäuser angepasst und die Kerwe in die Noch - Schulzeit verlegt.
Am Vorabend wird eine von den jungen Burschen hergerichtete Puppe, die ,,Kerweliesel" von Bord des Bootes, an der "Adler-Überfahrt" angekommen, abgeholt. Früher wurde Tage vorher wird schon gebacken ("Kerwekuchebacksamstag") oder Kuchen und Torten vom Bäcker besorgt, um die Kirchweihgäste bewirten zu können.
Sonntags war der Hauptfesttag, wo auf dem Sportplatz im Dorf Vergnügungsstätten und Schaubuden aufgeschlagen sind. Montags war ebenfalls Feiertag ("Wirtschaftskerwe") und am Dienstag Abend wird die ,,Kerweschlumpel" begraben. Nach einer Leichenrede vom "Kerwepfarrer" von der Neckarbrücke herunter erfolgte das Verbrennen. Mitunter wurden die Überreste auch in den Neckar geworfen. Vor dem Krieg blieb einmal die Puppe am Stauwehr in Heidelberg hängen, wo sie als vermeintliche Leiche eines Ertrunkenen geborgen wurde.
"Martini", der Namenstag des heiligen Martin war ein wichtiger Tag - schon im Mittelalter. An diesem Tag (11. November) war die Pacht an den Grundherrn fällig, die früher in erster Linie in Naturalien ausbezahlt wurde, auch in Form von Tieren. (Martinsgänse). Der heilige Martin seinerseits aber war der Ritter, der seinen wärmenden Mantel mit dem frierenden Bettler teilte.1949 wurde in Heidelberg ein Brauch aus dem Rheinland neu eingeführt, der Martinszug. Am Sonntag Martini bewegt sich der Zug der Kinder mit ihren vielfach selbst gebastelten Laternen durch die verdunkelte Straße im Steinbachtal. Dabei singen sie:
Laterne, Laterne, Sonne,
Mond und Sterne.
Brenne auf mein Licht,
aber nur meine liebe Laterne nicht!
Nach Beendigung des Zuges erhält jedes Kind ein gebackenes Martinsmännle".
Der Martinszug hat sich bis heute erhalten.
Mit Beginn der Adventszeit erhielten die Straßen und Geschäfte weihnachtlichen Charakter. über die Straßen wurden Girlanden mit Lichterketten gespannt und die Auslagen mit Tannenzweigen geschmückt. Auch die Wohnungen wurden weihnachtlich geschmückt und Adventskränze aufgehängt, an denen mit jedem Adventssonntag eine weitere Kerze angezündet wurde. Nun folgen die winterlichen Feste. Zunächst der Nikolaustag. Am 5. Dezember ist der ,,Klein'e Belzenickel", an dem sich die Jugend einbutzelte" und mit Heischeliedern von Laden zu Laden oder Haus zu Haus zog Die gebräuchlichsten Verse sind
Bin en armer Sinder, hab 99 Kinder,
Wenn ich haamkumm, hab net viel,
Dann krieg ich mit dem Besesfiel.
Bin en armer Schweizer,
Geb mer doch en Kreizer,
Geb mer doch en Grosche,
Dann halt ich aa mei Gosche.
Bin en armer Handwerksborscht, ·
Geb mer doch e Lewerworscht,
Geb mer doch e Serwela, .
Dann reis ich noch Amerika.
Während der "Kleine Belzenickel" den heutigen aus den USA herübergeschwappten Gebräuchen des Halloween - "Süß oder Sauer" nicht unähnlich war hatte der "Belzenickel" / Nikolaus am 6. Dezember eher vermeintlich "erzieherische" Bedeutung. Da verkleideten sich die Erwachsenen und gingen mit einer Kette klirrend und stolpernd zu bekannten Familien, wo die Kinder ihre Gebete und Sprüchlein aufsagen mussten und ihr Sündenregister vorgegehalten bekamen. Am Morgen dieses Tages sangen sie in furchtsamer Erwartung:
Heit Owend kummt der Belzenickel, ,
Awer net zu mir.
Ich pack en an der Zippelkapp
Un schmeiß en wedder die Tür.
Auch hier "Süß oder Saueres", Zuckerbrot und Peitsche. Manch ein aufsässiger Junge wurde nach dem Verlesen seiner Jahressünden regelrecht vom "Belzenickel" verprügelt bevor er eine Tafel Schokolade erhielt.
Am Christbaum ist hier die Veränderung eines Volksbrauches anschaulich zu erkennen. Noch bis in dieses Jahrhundert hinein wurde der .Zuckerbaam" in einfacher Weise geschmückt. Einige Nüsse, die in Silberpapier gewickelt waren, rote Weihnachtsäpfelchen, ein paar ,,Glocken", worunter die runden Glaskugeln verstanden wurden, Weihnachtsgutsel, .“Schnitz" von getrockneten Birnen und Heiligenbilder waren der Schmuck des Baumes. Die weißen Wachskerzen wurden , mit Wollfäden an die Zweige gebunden oder durch aufgetropftes Wachs festgeklebt. Der Baum wurde in ein Gärtchen gesteckt, in das Krippenfiguren und Schäflein gestellt wurden, die aus Lehm selbst verfertigt waren und mit Kreide weiß gefärbt wurden. Am Morgen des Beschertages wünschten sich die Kleinen das Christkind mit folgendem Sprüchlein herbei:
Christkindel Kumm in unser Haus,
Leer dei goldenes Säckele aus,
Stell de Chrischtbaam uf de Disch,
Daß ma sieht, daß Weihnachte is,
Stell de Esel unner de Disch,
Daß er Hei un Hawer frißt,
Hei un Hawer frißt er net,
Zuckerbrezle kriegt er net.
Ein alter Brauch am Bescherabend, dem 24. Dezember, das Ziegelhäuser Christkindel" wurde kaum noch ausgeübt. Bei den eingesessenen Familien erschienen dann zwei Gestalten, das Christkindel und der Belzenickel. Das Christkindel, das meist durch ein befreundetes Mädchen dargestellt wurde, war vollständig weiß gekleidet und hatte sein Gesicht mit einem Schleier verhängt. ln der Hand trug es ein Glöckchen. Zu den Kindern sprach es mit hoher Stimme und ließ ihnen von seinem Begleiter, dem Belzenickel, die Gaben reichen, die ihnen beim Eintritt in das Haus schnell zugesteckt wurden. Der Belzenickel las ihnen dannn aus seinem dicken Buch ihre bösen Taten und Unarten vor, wobei er sie mit der Rute strich.
Wenn Weihnachten hauptsächlich im Kreise der Familie gefeiert wurde, so ließen sich es die Vereine nicht nehmen, eine Weihnachtsfeier zu gestalten. Auch die Gemeindeverwaltung stellte an verschiedenen Stellen Christbäume auf.