Kerwe in der Kurpfalz
Die Kirchweihe
Ursprünglich war Kirchweih ein religiöses Fest, das in einem Gottesdient am Sonntag seinen Höhepunkt fand, nachdem sich die Menschen zum Feiern auf dem Marktplatz versammelt hatten. In der sogenannten Kirchweihpredigt wurden die Ereignisse des vergangenen Jahres noch mal hervorgehoben und ausgewertet.
Alte katholische Kirche St. Laurentius
Wie schon der Name sagt, gründet sich das alljährliche Fest an das Gedenken der Weihe der örtliche Kirche, meist auch als das Jahresdatum der Gemeindegründung vorgegeben.
In Ziegelhausen – Kirche St. Laurentius – war der 10. August, Namenstag des Hl. Laurenz, der entsprechende Jahrestag.
Somit legte man die „Kerwe“ immer auf das 3. Wochenende im August. Übrigens ist auffällig, dass die „Kerwe“ im wesentlichen in Dörfern und mittleren Gemeinden gefeiert wird. Dies zeigt doch Ursprung und Verbundenheit an den Kirchensprengel. Große Städte wie z.B. Heidelberg hatten keine Gesamt „kerwe“, sondern allenthalben eine „Meß“ (Messe)
Im 19 ten Jahrhundert zur Zeit des Biedermeier wanderten zum Beispiel von Mannheim ganze Heerscharen von Städtern am Kerwesonntag ins sonst verschlafene Schwetzingen. Man traf dort durchaus „alte Lieben“ oder Kinder „aus zweiter Hand“. Nach durchtanztem Nachmittag erreichte man gerade noch so den Ochsenkarren, der über die Rheinau die Kerwetouristen in die Quadratestadt brachte.
Im Laufe der Zeit kamen noch – auch je nach Lokalkolorit – weitere „Feste hinzu: Erntefest, Weinlesefest, Kartoffelfest, etc.. Alle Feste einte die zeitliche Nähe zur Beendigung der Ernte. Die Feldfrüchte waren eingebracht, Arbeitslöhne ausbezahlt.
Nun kam –nach der Arbeit – das Vergnügen. Es wurde gefeiert, getrunken, getanzt und „getratscht“. Sehr begehrt war das Kommen fahrender Händler, denn diese wussten immer Neues und brachten Ware und Vergnügungsspielgeräte mit.
Das war schließlich dem badischen großherzoglichen Staat „wegen tagelangem Müßigang“ im Jahre 1830 zu viel. Man strich per Dekret alle Feste auf ein Sammelfest zusammen und erlaubte nur noch eines – meist im Oktober. Lediglich den Kirchen blieb noch ein sonntägliches Erntedankfest.
Brauchtum in der Kurpfalz
Um die Kerwe rankt sich viel Brauchtum. Im Mittelpunkt kurpfälzischer Kerwe steht dabei die „Kerweschlumbel“, eine mit Stroh gefüllte Mädchenfigur, der man allerlei bunte Kleider angezogen hatte. Mit ihr begann der Festreigen meist am Freitag oder Samstag, mit ihr machten die „Kerweborscht“ ihren Ehrentanz, sie bekam an zentraler Stelle einen Ehrenplatz. Sie "regiert" den Ort 4-5 Tage lang. Ihre Rolle und ihre Namensbezeichnung besteht auch darin, in diesen Tagen gesellschaftliche "Zucht und Ordnung" aufzuweichen. Sie war auch das Objekt der Begierde der Burschen des Nachbardorfes, die die „Schlumbel“ stehlen oder gegen Hochprozentiges auslösen wollten.
Der Verbrennung der „Schlumbel“ – in Ziegelhausen am Dienstagabend von der Neckarbrücke herunter ging eine herzerweichende Predigt des „Kerwepfarrers“ voraus. Dennoch aber erinnerte dieser martialische Brauch auch an andere Vorgänge im Mittelalter. Jedenfalls war am nächsten Morgen alles wieder „normal“ im Ort, Zucht und Ordnung wiederhergestellt.
Die anderen Protagonisten bestanden/bestehen aus einer Gruppe junger Männer, den „Kerweborscht“ oder „Kerweschlackeln“, die meist an legärer Kleidung und Strohhut zu erkennen sind. Ihr hauptsächlicher Aufenthaltsort war früher der Tanzboden und die Theke, ihre Hauptaufgabe war die Bewachung der „Schlumbel“ – auch nächtens.
Ziegelhäuser Kerwe in den 50 igern
Die Kerwe in Ziegelhausen und anderswo in der Kurpfalz erlitt natürlich Höhen und Tiefen – auch in direkter Ursachenverbindung zu Zeiten wirtschaftlichen Wohlergehens oder Abschwungs. Zu den Kriegszeiten gab es im wesentlichen keine Kerwe. Erst in den 50 iger Jahren erhob diese Art sommerlicher Fröhlichkeit nach dem 2. Weltkrieg wieder ihren Kopf.
Musik-, Gesangsvereine, gar spezielle Kerwevereine, Sportvereine oder auch örtliche politische Organisationen waren die Gründer und Taufpaten. Standard - Angebot waren Auto-Scooter, Karussell, Schießbude, Losverkauf, Zuckerwaren, Schiffschaukel.
Kerwe in Ziegelhausen ... oder Kerwegescht steche
Wie in vielen Gemeinden war der Augusttermin schon ein halbes Erntedankfest, von Kartoffeln und Obst abgesehen. Es war noch warm genug an den „Hundstagen“, die Abende und Nächte im Freien zu verbringen.
Für uns Kinder in den 50 iger Jahren waren es die K-Wörter, die uns Vorfreude brachten und mit dem Begriff Kerwe verbunden waren. „Kerwegeld“ – wurde von Eltern und Verwandten gegeben, um damit die „Reitschul“ zu bezahlen oder später die Fahrt mit dem „Boxaudo“ (Auto – Scooter), Zuckerwatte oder gebrannte Mandeln, die 5 Schuss mit dem Luftgewehr. Lose kaufte man von dem knapp bemessenen Kerwegeld nicht, da man die Gewinnwahrscheinlichkeiten zwar noch nicht exakt berechnen konnte, aber immer ahnte, dass der Gewinner fast immer der Losbudenbesitzer ist.
„Kerwegescht“ (Kerwegäste) waren die, die man zwar gern begrüßte, die man am Abend aber auch gerne abreisen sah. – Verwandte, Bekannte, Arbeitskollegen der Eltern. Sie kamen meist am Sonntag zum Mittagessen oder auch nur zum Kaffee. Dort trafen sie auf die anderen „Kerwegescht“ . Beide machten sich über den „Quetschekuche“ her, die ersteren mit Dessertgabel immer auf der Hut, die anderen nicht mitzuessen. Denn die anderen, das waren die gelb-schwarz Gestreiften mit sprichwörtlicher Taille. Zwetschgenkuchen war die Kerwehauptnahrung. Schon die ganze Woche zuvor wurde von den Hausfrauen auf den „Kerwekuchebacksamstag“ hingearbeitet. Kamen dann die Hefe- oder Mürbeteigköstlichkeiten aus dem Ofen oder waren sie vom Bäcker abgeholt, wurde die Wohnung, Haus und Hof noch blitzblank geputzt. Der gestressten Mutter ging man am besten für ein paar Stunden aus dem Weg. Der Kerwesamstag wurde aber nicht nur zum Backen und Putzen genutzt. So langsam lief das Fest im Dorf und auf dem Kerweplatz an.
Der Kerwesonntag bestand für die Erwachsenen meist zunächst im Besuch der Kerwewirtschaften , während sich die Kinder auf dem Kerweplatz (später Kucheblech) tummelten – in der Hoffnung, die später ankommenden Eltern wüssten um den inzwischen klammen Inhalt der Hosentaschen.
Am Kerwemontag wurde zu früheren Zeiten nicht gearbeitet. („Blauer Montag“). Meister und Gesellen trafen sich in den Wirtschaften, um dort die „Wirtschaftskerwe“ zu begießen. Am Abend wurde noch Tanz angeboten und – wie bereits berichtet – am Dienstag Abend Trauerrede und Verbrennung.
Bleelumpekerwe und ... es fehlt nur die Schlumbel
Ab den 80 iger Jahren erlebte die Kerwefreudigkeit der Ziegelhäuser durch die Vereine nochmals Höhepunkte. „Straßenkerwe“ war angesagt: Sport-, Gesangs- oder Kulturvereine, Parteien, Organisationen bauten von der Neckarschule bis zur Volksbank ihre Stände auf. Mindestens 4 Bands luden zum Zuhören, Mitbewegen, Mitsingen oder Tanzen ein.
Vor ein paar Jahren wurde die Besucherzahl der Kerwe in den Sommerferien so gering, dass eine Verlegung in die Schulzeit im Juli angezeigt schien. Aber auch das hat nicht viel geholfen. Die Ziegelhäuser Kerwe verlor Jahr für Jahr an Zuspruch durch Besucher und die sie tragenden Vereine.
Zu allem Übel fiel in den letzten Jahren die Kerwe wegen des Corona – Infektionsrisiko’s aus.
2022 ist sie wieder am Start.