Die Bürgermeistermorde in Schlierbach
[Erich J. Lehn]
Vor 100 Jahren - die Bürgermeistermorde in Schlierbach
Wer erinnert sich nicht an den furchtbaren Arzt-Mord vor einigen Jahren an Heiligabend in der Kleingemünder Straße? Es gibt auch eine Parallele vor 100 Jahren, nämlich den 29. Juni 1921- Peter und Paul. Nur wenige Schritte vom Tatort entfernt, an der Ecke Schönauer Straße, wohnte ein junger Mann, dem ein Mond an zwei Bürgermeistern angelastet wurde. Im ein halbes Jahr später stattfindenden reinen lndizienprozess wurde er, der bis zum Ende seine Unschuld beteuerte, zum Tode verurteilt.
Um auch heute noch die damalige Situation nachvollziehen zu können, wandern wir vom S-Bahnhof Schlierbach in mäßiger Steigung den Auweg oberhalb der Orthopädischen Klinik am Vögeles-Brunnen vorbei in Richtung Linsenteicheck. Nach einer halben Stunde tauchen rechts des Weges mächtige Felsgebilde auf und der Wald schafft mit uralten Baumriesen ein mystisches Halbdunkel. Dann öffnet sich der Wald gegen Norden und von der Gumpentalhütte aus bietet sich ein prächtiger Ausblick auf das in der Neckarschleife darunter liegende Neckargemünd und in der Ferne taucht die Kuppe des Dilsbergs auf. Etwas weiter oben, unterhalb des Pfalzgrafensteins ist die Bluttat geschehen und die Inschrift auf zwei Findlingen zeugt davon. Von unten, dem Kümmelbacherhof schlängelt sich ein Fußpfad empor, der heute noch, wie damals, einen Wanderer von weitem erkennen lässt. Und hier soll der Täter seinen Opfern aufgelauert, den einen erschossen, und den anderen mit dem Gewehrkolben erschlagen haben. Anschließend wurden die Spuren der Tat beseitigt, die Leichen versteckt, nachdem ihnen Geld, Papiere und Ringe abgenommen worden waren. Woher der Mörder wusste, dass die beiden Spaziergänger genau an dieser Stelle vorbeikamen und auch, ob sie Geld bei sich trugen, wurde nie geklärt. Später fand man oberhalb der Mordstelle einen gut getarnten Schützenstand und auch ein mit Moos ausgepolstertes Lager.
Gedenkstein an den Mordstelle
Die beiden Opfer, zwei Bürgermeister aus Herford, Leopold Werner und Wilhelm Busse, hatten einige Tage in Heidelberg verbracht und Ausflüge in die nähere Umgebung unternommen. Nachdem sie von einem Tagesausflug nach Neckargemünd am Abend des 29.Juni 1921 und auch am nächsten Tag nicht zurückkehrten, erstattete die Haushälterin von Werner bei der Polizei Vermisstenanzeige. Eine fieberhafte, mehrere Tage andauernde Suche nach den beiden mit Polizeistreifen und Waldarbeitern begann, zunächst ohne Ergebnis. Doch dann wurde in Ziegelhausen der Arbeiter Leonhard Siefert verhaftet, in dessen Zimmer die Vermieterin einen Brief gefunden hatte, den die Ehefrau des Bürgermeisters Busse wenige Tage vorher an ihren Mann geschrieben hatte. Sie kombinierte richtig, teilte den Verdacht ihrem Onkel mit, der sofort zum Polizeiposten Ziegelhausen eilte. Die fackelte nicht lange und verhaftete den jungen Mann
, der angeblich ahnungslos war und gerade beim Mittagessen saß. Er wurde zunächst im Keller des alten Rathauses, dem ,,Kaschorle" untergebracht und zwei Tage später nach Heidelberg überstellt.
Von der Suche nach den beiden wusste er nichts und hatte auch darüber nichts in der Zeitung gelesen. Allerdings fand man in seinem Zimmer bei der Durchsuchung nicht nur Ringe und eine Uhrkette, die den beiden Bürgermeistern gehörte, sondern auch ausgewaschene Blutflecke an seiner Kleidung. Wenige Tage später fand eine Streife mit Studenten die grausam zugerichteten Leichen der beiden Vermissten, als sie das unwegsame Gebiet oberhalb des Kümmelbacherhofs durchkämmten. Durch den Verwesungsgeruch aufmerksam geworden
Die Correll'sche Hammerschmiede. Hier arbeitete Siefert als Schlosser
- es war Hochsommer — fanden sie die Toten, unter Ästen und Felstrümmern, unterhalb des Pfalzgrafensteinhanges, versteckt
Wer war diese' junge Mann, den man wegen eines gefundenen Briefes nach Auffinden der beiden gewaltsam Getöteten des doppelten Raubmordes bezichtigte? Man hatte bei der Durchsuchung des Zimmers mehrere Wertgegenstände gefunden, die eindeutig den beiden Bürgermeistern zugeordnet werden konnten.
Siefert stammte aus Olfen, einer kleinen Gemeinde im Odenwald. Man erreicht sie, wenn man von Hirschhorn das Finkenbachtal zum weitläufigen Ort Falkengesäß hochfährt Links geht es nach Airlenbach weiter und über die Olfener Höhe mit 475 m abwärts ins Hinterbachtal nach Olfen.
In nächster Entfernung liegt das bekanntere Grasellenbach mit dem Siegfriedsbrunnen
Siefert bekam später während des Prozesses durchweg gute Noten: Nach Jakob Siefert, seinem Bruder, war er immer ehrlich und anständig, eine solche Bluttat würde er ihm nicht zutrauen.Nach seinem Lehrer, Peter Schütz, war er ein braver Schüler, wobei es bei ihm nur mit der Rechtschreibung haperte, auch auf Bürgermeister Peter Heilmann machte er einen soliden Eindruck. Pfarrer Bayer war mit ihm ebenfalls zufrieden und sein erster Lehrherr, Schmiedemeister Adam Kaufmann aus Güttersbach bestätigte ihn als ,,braven Arbeiter". Sein weiterer Lebensweg führte ihn nach Ziegelhausen, wo er bei der damaligen Hammerschmiede im Steinbacher Tal Arbeit fand. Altbürgermeister und Schmiedebesitzer Correll betonte, er sei immer fleißig und liebenswürdig gewesen, auch einer der kräftigsten und stärksten Gesellen, die er je hatte. Ebenfalls ein gutes Zeugnis stellten ihm seine ehemaligen Kameraden vom Militär aus, wo er bei der Flugstaffel diente und auch einen Absturz, nachdem er einige Tage im Lazarett lag, glimpflich überstand. Nach einiger Zeit bei der Hammerschmiede wechselte er zur Reichsbahn, wo er lohnendere Arbeit fand und von Schwetzingen bis Darmstadt eingesetzt wurde.
Bleibt noch sein Verhältnis zum schönen Geschlecht. Das war außerordentlich von Erfolg gekrönt. Saßen doch auf der Zeugenbank vier seiner hübschen ,,Verflossenen", was auf seinen guten Geschmack schließen ließ. Auf die hatte der Angeklagte wegen seines guten Aussehens, er war von großer, schlanker Statur, mit angenehmen Gesichtszügen, gewinnendem Lächeln, immer gut gekleidet einen derartigen Eindruck gemacht, dass viele sich als ,,Nachfolgerin" geradezu danach drängten, die Nächste zu sein, wenn er wieder einmal einer überdrüssig war.
Einen Missklang gab es doch in seinem Leben, das war sein Verhältnis zum Geld. Obwohl er bei der Bahn 1000 Mark im Monat verdiente, reichte es hinten und vorne nicht und er machte Schulden und lieh sich hier und dort etwas. Er wohnte in Ziegelhausen, Ecke Schönauer Straße bei der Witwe Kratzmüller, wo er für Kost und Logis im Monat 280 Mark bezahlte. Am Wochenanfang war bereits kein Geld mehr da, das er für‘s schöne Leben, Tanz und Wein mit Kumpels und Mädchen ausgegeben hatte. Durch Verkauf von Altmetall, von den Werkstätten mitgenommenen angeblich unbrauchbaren Werkzeugen und Ersatzteilen, besserte er seinen Etat auf. Dieser andauernde Schuldenstand und, er hatte allein bei seiner Wirtin einen Mietrückstand von 1700 Mark war für die Staatsanwaltschaft ein hauptsächlich belastender Tatbestand.
Die Wirtin meinte jedoch, das bedrücke sie nicht und er wäre der beste Mieter gewesen, den sie je gehabt hätte, und er wurde auch deshalb so behandelt als ob er zu ihrem Hause gehört hätte
Ziemlich genau ein halbes Jahr später, am 16. Januar 1922, begann der Prozess, der so enden sollte, wie ihn sich die Staatsanwaltschaft wünschte: Keine Zuchthausstrafe, die laut Ankläger „doch keine Besserung brächte", sondern “Weg mit dem Unhold!"
Der Prozess
Der folgende Bericht wurde hauptsächlich dem Heidelberger Tageblatt entnommen, dessen Reporter ziemlich objektiv über den Prozessverlauf berichtete.
Ein kalter Wintermorgen war es, als man Siefert in den beengten kleinen Saal des Landgerichts in der Seminarstraße vom Gefängnis, dem Faulen Pelz herüberführte und ihm die Handschellen abnahm. Ein „halb verschlagenes halb verlegenes Lächeln" wurde bei ihm bemerkt als er auf der Anklagebank Platz nahm.
Die Staatsanwaltschaft hatte keine Mühe gescheut in den vergangenen Monaten alles Belastende zusammenzutragen, was ihn des Raubmordes überführen würde, ja in deren Augen war er ohne Zweifel der Mörder, und das ohne Komplizen, wie auch der Sachverständige Dr. Popp aufgrund seiner Indizien zu beweisen versuchte.
Da war einmal der Karabiner mit dem abgesägten Lauf, der an der Mordstelle gefunden wurde und ohne Zweifel aus der Militärzeit Sieferts stammte. Die Zulieferfeder fehlte so dass nur ein Schuss abgegeben werden konnte. Deshalb konnte „nur ein Mann" der Täter sein. Als weiterer Beweis wurde ein Fingerabdruck sicher gestellt.
Dann hatte man außer dem verhängnisvollen Brief auch eine goldene Uhr und eine Kette, sowie Ringe bei ihm gefunden, die von den Ermordeten stammten. Ebenso Geldscheine. Einen Tag nach der Tat hatte er seine Schulden bei der Witwe bezahlt. Die Hose seines Anzugs war blutbefleckt, diese Flecken waren ausgewaschen und der Anzug gebügelt worden. Ebenso fand man blutbefleckte Handtücher.
Diese Dinge brachten eine Hausdurchsuchung zutage, auch machte sich das Gericht die Mühe, Zeugen zu befragen, die Siefert in den Tagen vor und während des 29. Juni gesehen hatten.
Zu alldem machte Siefert allein - ohne große Bemühung durch seinen Offizialverteidiger, Dr.Sebold Angaben, wobei er ein gemessenes Auftreten an den Tag legte, sicher und verständlich sprach und ,,nur das zugab, was man ihm beweisen konnte". „Die mir zur Last gelegte Tat bestreite ich entschieden".
Als man ihn verhört hatte, waren die Vermissten noch nicht gefunden. Hierzu befragte ihn der Untersuchungsrichter Hönl, und wollte von ihm wissen, ,, wo die Toten sind". Siefert antwortete darauf und auch später, als er der Schwester Werner's gegenübergestellt wurde: Ich bin nicht der Täter, wenn ich es wüsste, würde ich es sagen".
Vom 27.-29 Juni hatte er drei Tage Urlaub und war in der Zeit in Bad Rappenau, Heinsheim, Wimpfen, wo er im Wald geschlafen haben wollte. Zeugen konnten nur die ersten beiden Tage belegen. Teils noch Minderjährige wurden aufgerufen, darunter auch meine damals 16-jährige Tante Mina. Diese hatten ihn angeblich am Tag St. Peter und Paul, in Ziegelhausen gesehen. Die nächste Version von den beiden Unbekannten stieß natürlich beim Gericht auf völliges Unverständnis: Siefert gab an, dass er das Gewehr am Samstag vor der Tat an zwei Unbekannte für 800 Mark verkauft hätte. Diese hätten mit ihm einen Termin in Eberbach vereinbart Er habe sie im Zug von Neckarelz nach Heidelberg wiedergetroffen, sei dann aber nachts eingeschlafen und vom Heidelberger Hauptbahnhof mit der Ietzten Elektrischen nach Schlierbach gefahren. Später habe er in seinem Rucksack die Uhr, Ketten und Ringe gefunden. Den Brillantring habe er dem Juwelier Keilhauer für 2350 Mark verkauft, für den Ehering habe er nur 90 Mark bekommen. (Der Juwelier wurde dann wegen Hehlerei verurteilt). Wenn er von dem Mord gewusst hätte, so hätte er selbstverständlich die Dinge der Polizei als Fundstücke übergeben. Die Blutflecken stammten von Nasenbluten her. Und die Gegend um den Pfalzgrafenstein sei ihm unbekannt was allerdings durch die Aussage einer seiner Freundinnen widerlegt wurde, die mit ihm dort spazieren gegangen war. Auch hatte man Botaniker extra aus Frankfurt zu Rate gezogen, die bewiesen, dass die Moosreste und getrockneten Blätterfragmente in seiner Manteltasche nicht von einem Lager im Bärenbachtal, wie er angab, sondern vom Wildschützenstand am Auweg stammten.
Es wurde immer enger um Siefert und er dachte sich einen Fluchtplan aus. In einem Brief bat er seinen Freund Hermann er solle ihm in einem Korb Obst zwei Flaschen mit Wein und einen Laib Brot bringen. In einer der Flaschen sollten zwei schmale Sägen sein. So wollte er sich anscheinend befreien und die „beiden suchen, die ihn ins Elend gebracht hätten." Leider landete der Brief im Gefängnishof und wurde vor Gericht vorgelesen. Dabei kamen dem Angeklagten zum ersten Mal Tränen.
Es scheint heute unglaublich, aber der gesamte Prozess mit Beweismitteln, Zeugen, Anklage, Gutachten war nach acht Tagen am 23 Januar 1922 mit dem Plädoyer des Staatsanwalts zu Ende und alles wartete auf die Urteilsverkündung am kommenden Dienstag. Hunderte von Menschen drängten sich in der Seminarstraße bis zum Universitätsplatz und das Urteil fiel so aus, wie erwartet: Tod durch Hinrichtung. Hauptbeweis: Am Tattag fehlte das Alibi. Und die Angaben des Angeklagten waren für die Richter zu unglaubwürdig, um der Wahrheit näherzukommen. Auch konnte man damals nicht feststellen, ob das Blut an der Kleidung Sieferts das von den Getöteten oder sein eigenes war. Auch waren sich die Untersuchungsrichter und die Kriminalbeamten nicht einig, ob es Schleifspuren der Getöteten im unwegsamen Gelände gab oder nicht, d.h. es könnten auch mehrere Täter gewesen sein. Der Verteidiger nahm sich nicht einmal die Mühe, die dubiosen Angaben der Zeugen zu hinterfragen. Der Befangenheitsantrag seines Verteidigers gegen den Sachverständigen Dr. Popp, sowie der Antrag, Siefert nur wegen Totschlag zu verurteilen, wurden abgelehnt. Die Kürze des Prozesses und die Schnelle der Urteilsverkündung war für die Nachkriegszeit typisch: Nach dem Staatsanwalt wäre er bei Freispruch ein zweiter „Schinderhannes“ oder gar „Hölzerlips“ geworden.
Siefert kam nach Mannheim, um dort gerichtet zu werden. Jedoch gab es dort so große Proteste der Bevölkerung gegen die Hinrichtung in der Stadt, dass man ihn nach Bruchsal ins Landeszuchthaus brachte. Dort wartete das Fallbeil auf ihn.
In seinen Briefen an seine Verwandtschaft und bis zuletzt beteuerte er immer wieder:“ Ich bin unschuldig, ich war es nicht!“
Erich J.Lehn
Die Prozessangaben wurden dem Heidelberger Tageblatt, Generalanzeiger entnommen.
Die Namen der Zeugen aus jener Zeit wurden mit Rücksicht auf noch lebende Nachkommen nicht genannt. Gedankt sei Gerhard Kratzmüller für überlassene Dokumente, dessen Großmutter die Pächterin der ehemaligen Fuchs‘schen Gaststätte in Ziegelhausen und damit seine Zimmervermieterin war.