Schnee war gestern

Schnee war gestern

Der Ziegelhäuser Autor Erich J. Lehn erinnert sich an seine Kindheit mit viel Schnee in Ziegelhausen.

Schnee war gestern. Freud und Leid zur Winterszeit im vorigen Jahrhundert.                                                

Man wähnte sich schon im Frühling, als am 1.April des letzten Jahres plötzlich  eine Kältewelle ins Land kam, und Schnee vom Himmel fiel.  War der angesagte Klimawandel schon vorbei? Da kamen doch die Erinnerungen hoch, als es  vor 30-40 Jahren noch normal war, dass vom Dezember bis Februar auch in unseren Breitengraden der Schnee Häuser und Straßen bedeckte, am 1.November fielen schon die ersten Schnee-flocken: Es fünkelte. Als wir  in den Schwarzwald traditionsgemäß zum Hornschlittenrennen und Skilanglauf fuhren, lag der Schnee am Feldberg 3 m hoch .  Doch in den Kindheitserinnerungen, die in die Kriegs- und Nachkriegszeit reichte,  hatte der Winter genau wie der Frühling, der  Sommer und der Herbst gerade für Kinder eine große Bedeutung: Waren im Sommer Badefreuden und Bootsfahrten auf und im Neckar angesagt, so  bot der Winter mit Schlittenfahrten und Schneeballschlachten für Kinder  genauso schöne abenteuerliche  Vergnügungen. Doch alles hatte zwei Seiten: Im Sommer wurde das Spielen im Freien oft durch Regengüsse und Gewitter unterbunden, und im Winter gab es kalte Füße und rotgefrorene Ohren und Nasen. Doch vorerst war das Schlittenfahren eine Riesengaudi.  Die steilen Hänge besonders an der rechten Seite des Neckars vor Heidelberg boten genügend Schwung, um abwärts zu sausen, allerdings nur, wer ein dafür geeignetes Gerät hatte. Da war man glücklich, einen „Davoser“ zu besitzen, einen Ein- Zwei- oder gar Dreisitzer natürlich mit Eisenkufen. Man fuhr aber auch mit sogenannten „Krautrutschern“ abwärts,  besonders beliebt in Bauchlage. Für die ganz Kleinen begann das Vergnügen im Schoß der Mutter und bei den Älteren war das „Anhängen“ mehrerer Schlitten hintereinander besonders beliebt.  In Ziegelhausen war die Hauptabfahrt die Schönauer Straße, kurz „Schossee genannt. Die war 500 m lang, hatte aber sogenannte „Abdeiche“, Querrinnen, damit das Wasser bei Regen in den Graben, der neben der Häuserzeile lief,  ablaufen konnte.

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Der Verfasser mit seiner Mutter 1941

Wenn man da zu schnell hineinfuhr, hob der Schlitten mit Inhalt ab und man wurde hochgeschleudert, was die Fahrlust erhöhte. Doch an der unteren Straßenkreuzung gab es einen offenen Kanal, in den manche, die nicht vorher entgegenlenkten, hineinfuhr.   Ab und zu kam natürlich auch ein Auto, wobei dann der Ruf „Achtung“ von unten bis oben schallte, und der Fahrbetrieb dann kurz ruhte. Doch außer den Schlittenfahrenden gab es auch Fußgänger, und für die wurde der Schnee rechts und links an den Hauswänden entlang geräumt, und in den Straßen- oder Gassenmitten aufgetürmt. Für Kinder willkommen, den in den Schneebergen konnte man kleine Höhlen hineingraben. Das Schlittenfahren endete dann, wenn die Kleidung durchnässt war, denn die bestand in den Kriegs- und Nachkriegsjahren aus einer blauen sogenannten Trainingshose, selbstgestrickten Strümpfen,  Handschuhen und  Pullover, einer Bommelmütze und oft aus einem einzigen  Paar Stiefel. Darunter trugen die Jungen eine sogenannte „Leib- und Seel-Hose“.  Da gings notgedrungen nach Hause, die Füße wurden in eine kleine Wanne mit lauwarmem Wasser gesteckt und die nassen Sachen über dem Herd getrocknet. Die Küche mit ihrem holzgeheizten Herd war unter der Woche der Aufenthaltsraum der gesamten Familie; die „Gute Stube“  wurde nur sonntags mit dem Kanonenofen gewärmt. Für diesen Tag war das Schlittenfahren vorbei.  Glücklich war, wer außer dem Schlitten ein Paar Ski hatte, doch das war Mangelware. Einige hatten die Idee, aus Fassdauben, den halbgebogenen Fassbrettern sich Ski zu basteln. Mein Vater sägte einen mittleren Fichtenstamm längs durch, glättete die Unterseiten und nagelte Rollladengurte als Schlaufen daran. So konnte ich die Füße hineinstecken und mittels zweier Haselruten als Stöcke abwärts fahren. Als wir größer waren, fuhren wir mit einer „Lenkbaren“ vom Münchel bis nach Schönau, nahmen dann gerne Mädchen mit und kehrten am Abend bei „Bordne“ ein, um die Abfahrten gebührend zu feiern.

Der Neckar war von Dezember bis Anfang März fast immer zugefroren, die Schifffahrt eingestellt und die Eisbahn bot dann  denen, die Schlittschuhe hatten, eine andere Art des Wintervergnügens bis das Eis taute. Mächtige Schollen trieben abwärts. Eine aus heutiger Sicht gefährliche Sache war das Aufspringen auf so eine große Scholle und Mitfahren entlang des Ufers. Falls diese dann doch zur Mitte abgetrieben wurde, gelang den Mutigen der rettende Sprung ans Ufer. Der Beifall der Zuschauer war ihnen gewiss. Das läutete dann auch das Ende des Winters ein und die wärmende Frühjahrssonne lockte   zu längeren Aufenthalten ins Freie.   Die positive Erinnerung war die gemeinsame Freude aller Altersklassen am Schlittenfahren, dem Massen-Wintersport, wobei diese leider durch die oft eiskalten Hände und Füße getrübt wurde.

Erich J.Lehn in "Unser Land 2023"

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