Die unendliche Geschichte

 

Eine unendliche Geschichte? – Wer mit seiner Familie in der verkehrsberuhigten Zone läuft, unterzieht sich immer der Gefahr, von hinten „weggehupt“ zu werden. Das Hinweisschild am Eingang zeigt spielende Kinder, die dort nie gesehen wurden. Die Straße soll zum Einkaufsbummeln anregen. Statt dessen umlaufen die Fußgänger und neuerdings die Rollator-Schieberin die auch illegal geparkten Autos mit weiten Schritten auf die Straßenmitte.

Topographisch parallel zum „Leinpfad“ am Fluss entwickelte sich ein „oberer Weg“ zwischen Russenstein über die Stiftsmühle, die heutige „Drehscheibe“, über den „Spelzenacker“ hin zur alten Ortsmitte, dann zum Ortsausgang Richtung Bärenbach.

In erster Linie wollten die wenigen Bewohner dieser Bereiche dadurch dem wiederkehrenden Hochwasser entgehen. Der erste Abschnitt wurde dann zur „Heidelberger Straße“ im Gebiet „Neckarhelle“ – bis zur heutigen „Drehscheibe“, danach führte dieser Weg durch eine ständig wachsende Bebauungszone und wurde zur „Hauptstraße“, die in den „Kleingemünder Weg“ (heute „Brahmsstraße“)  führte. Erst 1876 verkürzte man diesen zur ehemaligen evangelischen Kirche führenden Bogen und nannte diese Straße später „Heinrich – Stoeß – Straße.“

Am östlichen Ende der Hauptstraße entstand das Ortszentrum: Die beiden Kirchen in räumlicher Nähe zum Ursprung, dem „Ziegelhaus“, zu zwei großen Wirtschaften und vor allem die Einmündung der drei Hangstraßen Friedhofweg, Brechhohl und Schönauer Straße sowie später der nahe Brückenkopf und die Weiterführung in den Kleingemünder Weg begründeten die Eigenschaft dieses Gebietes als Mittelpunkt des Ortes. Die „Drehscheibe“, die heutzutage vielfach als Ortszentrum bezeichnet wird, war früher lediglich ein Abzweig nach Peterstal und über den Moselbrunnenweg in die Hanggebiete. Sie bildete das westliche Ende der Hauptstraße.

Wirte, Bauern, Bürger, Schule, Verwaltung bauten und erwarben Häuser und Wohnungen an der Hauptstraße. Sie entwickelte sich zur Geschäfts- und Einkaufsstraße. Noch um 1960 sah man mehrere Lebensmittelgeschäfte, Metzger, Bäcker, Handwerksbetriebe, Verkauf von Haushaltswaren, Schuhen, Blumen, Dienstleister wie Friseure und eine Bank, Apotheke, Uhrengeschäft, Rathaus und etliches mehr.
Ich geh' in's Dorf zum Einkaufen“ – Für Ziegelhäuser aus Neckarhelle und Ortsetter, Hahnbergbewohner und aus dem Steinbachgebiet eine Selbstverständlichkeit – mit Betonung auf „Ich geh“.

Im Zuge der Wohngebietserweiterungen hoch zu den Waldrändern in den 1960 iger und 1970 iger Jahren und der allgemein starken Zunahme von Automobilen änderte sich das binnen weniger Jahre. Die wenigen Einzelhandelsgeschäfte in Peterstal, am Hahnberg oder am Fürstendamm verschwanden allmählich seit die ersten Supermärkte in der Rheinebene öffneten oder die Kunden wandten sich der Hauptstraße zu, weil dort mit wenigen Schritten noch vieles besorgt werden konnte. Gaslaterne, Stromdachleitungen und das Aussehen des Auto's weisen auf einen Bildaufnahmezeitpunkt vor dem 2. Weltkrieg hin.

Immer schon benutzte ein großer Teil des Neckartalverkehrs die nördliche Route, also durch die Ziegelhäuser Hauptstraße und Autofahrer aus dem Odenwald nutzten die Straße als Zufahrt zur Neckarbrücke. Und die Maße der PKW und LKW wuchsen ständig. Begegneten sich dann zwei Gefährte in der Hauptstraße, mussten Passanten sich oft an die Häuserwände drücken, vom einem bequemen Schieben eines Kinderwagens ganz zu schweigen. Inklusive Lärm und Schadstoffausstoß durch Abgase.
Nebenstehendes Bild aus den 1950 iger Jahren.

Das Jahr 1975 hatte zwei grundlegende Ereignisse für die Gemeinde Ziegelhausen parat:
Am 1. Januar wurde Ziegelhausen Stadtteil von Heidelberg und im gleichen Jahr wurde die Umgehungsstraße L534 fertiggestellt und eingeweiht. Der Besucher konnte nun zur Ausfahrt wählen: Ziegelhausen – "West, Mitte und Ost".

Anstoß und Planung fanden noch weit vorher zur Zeit der selbständigen Gemeinde statt. Dieser Zustand war nicht mehr haltbar und so plante und baute man die Umgehung von der Stiftsmühle bis zum östlichen Ortsausgang als höher gelegte Straße über dem historischen Leinpfadstreifen und verzichtete damit auf den breiten Neckarweg und seine Grünflächen, auf denen sich die Ziegelhäuser so gerne aufhielten.

Altbürgermeister Heinrich Westermann – inzwischen verstorben – hatte seinen Enkeln noch visionär versprochen, dass sie in der Hauptstraße, die seit 1974 „Kleingemünder Straße“ heißt, dann „Fußball spielen könnten“, wenn erst die Umgehung fertig wäre.

Welch fatale Fehleinschätzung, an der Heinrich Westermann keinerlei projektive Verantwortung trägt.

Von Anfang an war die Kleingemünder Straße nicht entlastet.

Seit der Inbetriebnahme der Neckarumgehung 1975 hat man am Zustand der Kleingemünder Straße nichts geändert. Immer noch fuhren Autos in beide Richtungen. An den Seiten sehr schmale Gehwege und keinerlei Benutzungsbeschränkung z.B. auf Anlieger.

1980 erklärte man die Straße zum "verkehrsberuhigten Bereich" - zumindest auf dem Papier, lediglich verbunden mit einem Tempolimit.

Die nebenstehende Fotografie wurde in der „Stadtteilrundschau“ 1985 veröffentlicht. PKW, Bus LKW teilten sich die 4, xxx breite Fahrbahn. 
Welche Entlastung hätte also der immens teure Bau der Umgehungsstraße gebracht ? Das genau fragten sich viele Bürger und Anwohner. 

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Archiv Dr. Heimo Wissing

Die Jugendorganisation der SPD – die „Juso’s“ – damals eine sehr rührige Gruppe junger Erwachsener, nahm sich des Problems an und sammelte 1000 Unterschriften im Jahr 1985. Das, was sie damals forderten, könnte man mit reinem Austausch der Jahreszahl als Forderungskatalog für das Jahr 2024 in die Öffentlichkeit bringen.

 

Sie forderten bzw. boten als Lösungen an:

-    Einbahnverkehr, alternativ später Vollsperrung,
Ausnahmen für Anwohner und Lieferverkehr,

-    Sitzbänke zum Verweilen,

-    Auslagen der Geschäfte unter Nutzung der Straße,

-    Optische Barrieren und Verengungen,

-    Kurzzeitparkplätze nur auf dem „Gscheidle – Parkplatz“ und dem „Kuchenblech“,

-    Erhöhte Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer, …

 

Die Folge aus dem Unmut in Ziegelhausen waren : Man beseitigte die Gehwege und ersetzte sie nur durch andersfarbige Pflasterung. Fahrbahn und Gehwege lagen nun auf einer Ebene. Und man führte die Einbahnstraße nach Osten ein. Weiter sollten nur "Anlieger" die Straße benutzen dürfen.

An diesem Punkt scheiden sich bis heute die Geister: Was ist ein Anlieger? - Natürlich jemand, der in der Straße wohnt, aber gilt dies auch für seine Privatbesucher? Die Geschäftsleute sahen in jedem Käufer einer Butterbrezel ebenfalls einen Anlieger. 

Anfang der 1990 iger Jahre kam es dann für kurze Zeit zu dem Versuch, die Straßenmitte testweise zur reinen Fußgängerzone umzuwidmen, Dies ohne baulichen Nachvollzug ohne Absperrungen durch Geländer, Ketten oder Ateine. Die Einbahnstraßenregelung wurde aufgehoben. Schon nach kurzer Zeit konstatierte man ein erhöhtes Gefahrenpotential. Der Test wurde abgebrochen.

Man kehrte wieder zu alten und bis heute bestehenden Einbahnregelung in einer verkehrsberuhigten Zone zurück.

 

Archiv Dr. Heimo Wissing
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Archiv Dr. Heimo Wissing
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Das nebenstehende Skizzenbild zeigt natürlich – auch von heute aus gesehen – eine ziemlich idealistische Vision, wo ein Auto auch im Anlieger- und Lieferverkehr die Straße sehr behutsam und langsam benützen müsste. Natürlich aber teilt es uns heutigen Betrachtern mit, welche Vorstellungen man von „lebenswerten“ Straße schon vor 40 Jahren hatte.

In nahezu 50 Jahren der Existenz der Umgehungsstraße ist es aber nicht gelungen, die Verhältnisse in der Kleingemünder Straße auf den notwendigen Anlieger- und Lieferverkehr zu reduzieren, d.h. sie auch zur angenommenen Aufenthaltsstraße zu machen.

Immer wieder gab es Ansätze, dies zu ändern, aber immer wieder wollten starke Kräfte den Status quo beibehalten. Dahinter steht die Überzeugung, dass Geschäftsumsatz primär an die Zahl von Kunden gekoppelt ist, die mit dem PKW möglichst nahe zur Ladentür fahren können, wobei die meisten allerdings eh nur durchfahren. Insbesondere der „Bund der Selbständigen Ziegelhausen“ ist dieser Meinung.

Andere verweisen auf das Beispiel der nahen Heidelberger Hauptstraße, die seit 50 Jahren Fußgängerzone ist und umsäumt von Parkhäusern, die einen Minutenweg  zum Einkaufsziel ermöglichen. Auch viele Studien aus anderen Städten interpretieren gute Einkaufszahlen auch als das Ergebnis einer Umgebung, wo man sich wohl fühlt, wo man einen Kaffee trinken, wo man verweilen kann, einen „Einkaufs“-bummel machen kann.

  • Im Jahr 1997 forderte schon Mathilde Hoppe, Ehefrau des ehemaligen Ziegelhäuser Ehrenbürgers Reinhard Hoppe, in der „Stadtteilrundschau“, das verkehrliche Problem der Kleingemünder Straße endlich zu lösen.

  • 2007 trafen sich Stadtteilverein, Bezirksbeirat mit dem Baubürgermeister im Hotel „Adler“. Außer angedachten Ankündigungen kam kein praktisches Ergebnis zustande.

  • 2020 empfahl der Bezirksbeirat, den Nur – Durchgangsverkehr, der die Probleme hauptsächlich verursacht, indem er sich verkehrswidrig verhält (Es gilt nur: „Anlieger frei“), zunächst testweise mit einer Schranke zu bremsen, die ihm die Minuten nimmt, die er zur Brückenauffahrt auf der Umgehung länger braucht.

  • Im September 2021 wurde diese Empfehlung vom „Amt für Mobilität“ und der Verwaltungsspitze abgelehnt und auf ein baldiges Konzept zur Umgestaltung der Straße für den Januar 2022 verwiesen.

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Bild: Klaus Fanz

Kommentar

Diese drei Berichte stehen stellvertretend für sehr viele Tage, Wochen und Monate, in denen sich städtische Verwaltungen, Kommunalpolitik, Bürger und Interessensvertreter aus der Geschäftswelt  letztlich unter großem Frust mit der Gestaltung der Straße beschäftigt haben, auch jetzt wieder zu einem Zeitpunkt, wo den zur Bürgerversammlung im September 2021 eingeladenen Bürger/innen versprochen wurde, dass bis zum Jahreswechsel 2021/2022 ein befriedigendes Konzept dazu vorgelegt würde.
Die Anwohner wollen ihre Ruhe haben, die Passanten und potentiellen Käufer wollen in der einzigen Straße, die der Stadtteil für die größere Allgemeinheit bietet, bummeln, ja sich auch Schaufenster anschauen und die Ladeninhaber glauben nur erfolgreich zu sein, wenn der Kunde mit seinem Auto bis vor die Ladentür fahren kann. Dass dies auch anders geht erlebt man am östlichen Ende in der Kombination von Parken auf dem Kuchenblech und dem Besuch der Arztpraxen, der Postladen, der Bank, wohin man dann in 1 Minute läuft.
Aber - bei alledem wird vergessen, dass die Probleme in der Kleingemünder Straße nicht einmal zur Hälfte von direkt Beteiligten verursacht werden. Nein - es sind die "Nur - Durchfahrer", die nur das "Anliegen" haben, möglichst schnell zur Neckarbrücke oder zu den Bergauffahrten zu kommen. Mehrere Verkehrsunteruntersuchungen in den letzten Jahren haben ergeben, dass um die 65-70 % der Straßenbenutzer mit dem Auto eben kein "Anliegen" dort haben. Viele davon sieht man am Sonntag ihr "Anliegen" erledigen, wenn alle Geschäfte, Praxen und Büros geschlossen haben. Die gilt es aus der Straße zu verbannen: Eine Verzögerungslösung durch eine Schranke war eine Idee, die massive Ausgestaltung der Fahrbahn mit künstlichen "Huppeln" und Schikanen in der Straße eine andere.
Aber es bedarf endlich der Formulierung und Durchsetzung eines politischen Willens, dem sich dann alle Beteiligten unterzuordnen haben.

Ziegelhausen braucht die Straße als lebendigen Aufenthaltsort mit Einkaufsmöglichkeiten, eine verödete Kleingemünder Straße will keiner.

 

Klaus Fanz